Demokratische Öffentlichkeit - Geistige Standortpflege für schwere Zeiten
Vortrag aus der Reihe "Prüfungszeit - Wie Ideologiefrei sind unsere Wissenschaften?" Heute: Zur Politologie
Was | Referats-AK-Treffen |
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Wann |
24.05.2006 19:15
24.05.2006 21:15
24.05.2006 von 19:15 bis 21:15 |
Wo | Hörsaal 2004 |
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Anlässlich des Aufruhrs, den ein paar antiislamische Karikaturen in der muslimischen Welt ausgelöst haben, wurde deutschen Bürgern neulich in Erinnerung gerufen, weshalb sie sich glücklich schätzen dürfen, in einer freiheitlichen Ordnung zu leben: "Bei uns herrscht Meinungsfreiheit!" So tönte es unisono aus dem Blätterwald; und kaum eine Zeitung ließ es sich nehmen, mit dem Nachdruck der Zeichnungen den Beweis der haushohen Überlegenheit "unserer" demokratischen
Leitkultur gegenüber der zurückgebliebenen muslimischen Welt anzutreten.
1. Einmal abgesehen davon, dass es keine große Kunst ist, eine Meinung frei heraus zu posaunen, in der man sich mit seiner Obrigkeit und der übergroßen Mehrzahl seiner Leser einig weiß: Was ist denn überhaupt dran an der Behauptung, als Bürger dieses Landes dürfe man sich froh und glücklich schätzen, dass hierzulande „Meinungsfreiheit“ herrsche? Was hat man denn als freier Bürger von
dem Recht, seine Meinung frei zu äußern - warum soll man es schätzen, dass hierzulande glatt erlaubt ist, seine Gedanken zu Gott und der Welt frei zu äußern? Was wird einem da eigentlich erlaubt – und was lässt sich mit dieser Freiheit praktisch anfangen? Na klar: Der Vergleich mit Weltgegenden, in denen die Staatsgewalt nicht einmal das gestattet, ist leicht zu haben. Aber rechtfertigt dieser Vergleich schon die gute Meinung über eine politische Herrschaft, die sich ein solches Verbot versagt?
2. Die freie Presse sieht die Sache sowieso etwas anders: Für sie buchstabiert sich "Meinungsfreiheit" als ihr Recht, aus dem Informations- und Unterhaltungsbedarf freier Bürger ein Geschäft zu machen. Dabei vernachlässigt die Presse keineswegs ihren Auftrag, als "4. Gewalt" ihren Beitrag zur politischen Willensbildung der Bürger zu leisten. Ebensowenig muss sie sich vorwerfen lassen, dass sie bei der Wahrnehmung dieses Auftrags unkritisch zu Werke gehen würde.
3. Wie diese politische Willensbildung ausfällt; von welcher Art die Kritik an der Politik ist, die die freie Presse tagtäglich unter die Leute bringt – das ist allerdings die Frage. Immerhin liegt ja ein Ergebnis dieses freien herumkritisierens unmittelbar auf der Hand: Regierungen kommen und gehen, Sozialabbau und Volksverarmung kommen voran, der eine oder andere kleine Kriegseinsatz findet statt oder wird geplant - und die Betroffenen bekommen es immer wieder hin, diese Fortschritte der Politik für überaus einsichtig, wenn nicht sogar begrüßenswert zu halten. Versagt da eine freie Presse bei ihrem Auftrag, den "mündigen Bürger" zur Kritik an seiner Herrschaft aufzustacheln? Oder erledigt sie mit ihrer tagtäglichen geistigen Betreuung des Volkes im Gegenteil ziemlich perfekt ihre Aufgabe, das Volk für die Einsicht in das national Notwendige zu gewinnen?
4. Wie heißt es im Grundgesetz so schön: "Eine Zensur findet nicht statt"; und ein Propagandaministerium gibt es hierzulande nicht. Aber vielleicht ist beides ja auch nicht nötig, wenn sich die politische Herrschaft mit der „öffentlichen Meinung“ in der nationalen Sache so einig ist. Dann kann die Politik es gut aushalten, wenn die Presse ihr mangelnde Durchsetzungsfähigkeit in dieser Sache vorwirft – und ihr die Erzeugung des zum nächsten Waffengang passenden Feindbildes getrost überlassen.